Donnerstag, 12. Mai 1977
Mit Bundesrat Brugger wurde von der schweizerisch-österreichischen
Handelskammer eine Podiumsdiskussion veranstaltet, was die Schweiz
und Österreich gemeinsam und was trennt sie. Ich musste als
erster sprechen und schilderte die gemeinsamen wirtschaftspolitischen
Entwicklungen. Brugger als zweiter Referent hielt sich weniger
an das gestellte Thema sondern entwickelte seine wirtschafts-
politischen Vorstellungen. Gemeinsam hatten wir, dass Schweiz und
Österreich eine gute Beschäftigungslage hat, Arbeitslosigkeit bei
uns 47.000 in der Schweiz 14.000, nur um ein Beispiel zu sagen,
weltweit die besten Ergebnisse. Natürlich wies ich insbesondere
darauf hin, dass unsere Ausgangslage nach dem zweiten Weltkrieg
wesentlich verschieden war. Die reiche Schweiz, ohne Kriegs-
zerstörung, das arme Österreich, mit gewissem Stolz konnte ich
schon darauf hinweisen, dass wir jetzt sehr viel aufgeholt haben.
Wirklich grosse Differenzen gibt es eigentlich nur in der Zahlungs-
bilanz. Die Schweiz 8,6 Mia. sfr. Überschuss, wir 22 Mia. S Defizit.
Bei den Lebenshaltungskosten wir 7,3 %, die Schweiz 1 %. Beim
Bruttonationalprodukt aber die Schweiz 75 minus 7,6, wir minus 2.
1976 aber bereits wir ein Plus von 5,2, die Schweiz noch immer
ein Minus von 1 %. Für das Jahr 1977 erwartet die Schweiz nur
1 % Wachstum, wir dagegen 4,5 %. Bedingt ist diese schlechte
Entwicklung der Produktion durch den Ausfall von 340.000 Arbeits-
plätzen, davon 200.000 Italiener, die überhaupt rückgewandert sind.
Brugger erzählte mir, dass er grosse Angst gehabt hat, wie sie
diese Gastarbeiter nach Italien zurückbringen werden. Er fürchtete,
dass sie durch richtiggehendes Ausweisen diese überschüssigen
Fremdarbeiter loswerden müssten. Als die Italiener aber bemerkten,
wie die Konjunktursituation auch in der Schweiz ist, sollen sie
angeblich selbst nach Italien zurückgekehrt sein. In Italien sind
sie als Facharbeiter dann sehr gefragt, verdrängen dort allerdings
Italiener von ihren angestammten Plätzen, doch mit den Ersparnissen
in der Schweiz können sie mit den harten Schweizer Franken ent-
sprechend lang und günstig in Italien leben. Ich hätte eigentlich
erwartet, da ja die Schweizer Ergebnisse doch günstiger sind und
vor allem die Podiumsdiskutanten, Staatssekretär Pisa ist vom
Wirtschaftsbundverlag, Graber Wirtschaftskorrespondent der
Neuen Zürcher Zeitung, Prof. Horst Knapp und von soz. Seite nur
AZ-Redakteur Romé, ich in der Diskussion wesentlich härter
attackiert werde. Der Vorsitzende Präs. Schneider von der Schweizer
österr. Handelskammer hat aber, wie Graber sagt, angeblich
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kalmierend gewirkt. Er wies deshalb auf den föderalen Aufbau
der Schweiz und den doch verhältnismässig zentralistischen
Österreichs hin, strich dann besonders heraus, dass die
Schweizer Nationalbank vollkommen unabhängig ist und z.B. nur
eine restriktive Geldmengenpolitik von 5 – 6 % Zuwachs macht.
Die ÖNB ist hier wesentlich von der Regierung abhängiger, was
man meiner Meinung nach so nicht sagen kann, wohl aber, dass
auch in der ÖNB die Vollbeschäftigung Priorität 1 hat und
daher ca. doppelt so viel Geldmenge geschöpft wurde. Pisa
meinte, wenn es einen Währungsverbund gibt, ich erwähnte den
harten Schilling neben dem Schweizer Franken und der DM, dann
müsste es auch einen notwendigen Stabilitätsverbund geben. Die
Schweiz, hat Brugger erklärt, hat den Schweizer Franken gemanagt
Floating, d.h. auch kein reines sauberes Floating betrieben.
Da sie ihre Staatsschuld tief halten, jetzt wollen sie gar die
Steuerausgaben limitieren auf den Bruttonationalproduktzuwachs
so haben wir hier schon eine starke Differenz. Romé meinte,
die Schweizer Unternehmer passen sich schneller an, weil
Brugger erklärt hat, der Staat betreibt keine Strukturpolitik
und stellt keine Leitbilder auf, weiss aber, dass er auf dem
Bausektor und ganz besonders auf dem Uhrensektor Massnahmen
setzen sollte und sogar zumindestens Studien finanzierte, damit
die Innovationen und Strukturänderungen dort ohne Staatseinfluss
verbessert werden. Romé meinte dann, die Uhrenindustrie der Schweiz
hätte jetzt die zweite Generation Quarzuhren bereits in der Pro-
duktion, den Übergang hätten sie verschlafen, sie hätten daher
aber jetzt sehr schnell geschaltet. Prof. Knapp meinte einleitend
man sollte diese masochistische Unterlegenheit Österreichs nicht
immer so herausstreichen. Natürlich hat der Schweizer Franken um
57 % aufgewertet, der österr. Schilling um 31 % im Verhältnis
zu den anderen Abwertungswährungen. Die Verbraucherpreise seien
aber in einem Zeitraum von 1970 bis jetzt in der Schweiz um 6,3
bei uns um 7,3 gestiegen, wenn man die Mieten herauslässt so pro Jahr
5,9 : 6,1. Die Schweiz muss aber jetzt noch die Mehrwertsteuer
einführen, Brugger nimmt an, dass sie 2,5 % Verbraucherpreis-
erhöhungen bringen wird und einen neuen Lebenshaltungskostenindex
erstellen, der aber dort interessanterweise eine 2 %-ige Verteuerung
bringen sollte. Für mich waren zum Schluss dann nur zwei Bemerkungen
Bruggers interessant. Erstens bedankte er sich öffentlich für
die Unterstützung Österreichs in den internationalen Gremien, auch
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in der EFTA für die Schweizer Ideen, d.h. unserer gemeinsamen
Wirtschaftspolitik und gemeinsamem Auftreten. Sein Credo war
aber, wir müssen alles tun, damit dieser verdammte Wirtschafts-
protektionismus der Dreissigerjahre nicht wieder kommt. Auch dann,
wenn wir weltweit in einer Rezession waren und wahrscheinlich
wieder eine kommen könnte. Mein Amtsvorgänger Mitterer ist nachher
beim Empfang, zufällig war ich dabei, mit Knapp zusammengestossen,
weil er meinte, nur Graber hätte die Wahrheit gesagt und Knapp wieder
einmal beschönigt. Er könne nur als Unternehmervertreter sagen,
wie glücklich es jetzt in der Schweiz ist und wie schlecht in
Österreich. Knapp meinte, er möchte beileibe jetzt nicht Schweizer
Unternehmer sein, da man dort nicht einmal noch der Niveau 1974 er-
reicht hat. Da wird in Österreich bessere Politik gemacht. Ich
war über diesen heftigen Streit selbst sehr verwundert. Brugger
erzählte mir schon bei der Fahrt vom Flughafen, ihr grösstes
Problem, nämlich die Bankaffäre der Kreditanstalt. Ohne dass der
Verwaltungsrat auch nur eine Ahnung davon hat, ja nicht einmal
eine Art Staatskommissär, den Brugger sehr genau kennt und der
die Bank zu überwachen hat, wusste davon etwas, wurden in der ita-
lienischen Schweiz Grundstücktransaktionen gemacht. Es ist jetzt
zu untersuchen, wie weit der gesamte Vorstand davon informiert war
und natürlich auf alle Fälle dafür Verantwortung trägt. Am meisten
hat es Brugger gewundert, dass diese Geschichte keinen Run auf den
Schweizer Franken auslöste, da nicht einmal die Aktien der
Bank gefallen sind. Ich kann mir dies nur so erklären, dass ähnlich
wie in Österreich, durch den Wohlstand aber noch viel mehr
durch die Überzeugung der Bevölkerung, die Regierung wird das
schon irgendwie in Ordnung bringen, die Masse weniger heftig reagiert
als dies in der Zwischenkriegszeit der Fall war.
Die EFTA-Ministerratssitzung hatte nur drei Punkte, Verhandlungsmandat
für Spanien – Beitritt zur EFTA, übereinstimmend wurde festgehalten,
dass so schnell wie möglich auf der Basis der Ergebnisse von der
EG-Kommission mit Spanien 1970 ausgemachten Präferenzlösung auch
eine solche mit Spanien und der EFTA gefunden werden soll. Als
zweiter Punkt war die Frage Griechenlands, wo Gen.Sekr. Müller
jetzt nach Athen fahren wird, um dort zu sondieren, wie wir ebenfalls
auch dort eine ähnliche Lösung wie mit Spanien erreichen oder zumindest
anstreben könnten. Der dritte Punkt war, ob wir noch im Frühjahr unsere
halbjährliche Ministerratssitzung in Genf machen sollten oder wie
ich insbesondere plädierte, erst im Herbst die Tagung in Genf
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zu veranstalten ist.
ANMERKUNG FÜR WIESINGER: Bitte Oktober-Termin eintragen.
Min.Rat Steiger hatte mir vor der Sitzung berichtet, dass die
Delegationsleiter der Beamten am Vorabend bis spät in die Nacht
über die Textierung des Verhandlungsmandates diskutierten. Schein-
bar gibt es in vielen anderen Staaten, so wie bei uns auch den
Wunsch z.B. der Handelskammer aber noch viel mehr der Landwirt-
schaftskammer, man sollte bei den neuen Verhandlungen mit Spanien
trachten, bessere Ergebnisse zu erzielen. Die Präsidentenkonferenz
hat allen Ernstes vorgeschlagen, es sollten jetzt die bilateralen
Abmachungen mit Spanien gekündigt werden, damit eine bessere
Verhandlungsposition am Anfang für Österreich geschaffen wird.
Man muss sich nur vorstellen, dem faschistischen Spanien hat man
schon vor längerer Zeit Konzessionen gemacht und dem zur Demokratie
zurückgefundenen werden jetzt diese Konzessionen entzogen. Aussen-
minister Pahr und ich lehnen eine solche Vorgangsweise ganz entschieden
ab.
Überhaupt musste ich feststellen, dass im Parlament gerade die Ver-
treter der Landwirtschaft beim Integrationsbericht sich mehr denn
je schäbig benommen haben. Ich hatte Haiden ersucht, weil wir
diese EFTA-Ministersitzung hatten, für mich auf der Regierungsbank
zu sitzen. Gen.Sekr. Lanner hat gleich, wie man mir abends
dann als ich ins Parlament kam, erzählte, mich attackiert, dass
ich an Essen teilnehme, statt hier im Parlament zu sitzen.
Brandstätter, der Agrarsprecher und auch Gorton dann vom
Wirtschaftsbund stimmten dann angeblich in dasselbe Horn. Vor-
mittags als ich anstelle des Empfanges im Parlament war, war
leider noch immer nicht der Integrationsberichts-Tagesordnungspunkt
aufgerufen. Dieser kam genau zu dem Zeitpunkt dran, als die EFTA-
Ministerratssitzung war. Haiden hat mich zwar, wie Heindl mir
mitteilt, bestens entschuldigt, er meinte, wer den asketischen Stari-
bacher kennt, weiss, dass er Besprechungen hat und nicht dem Essen
frönt, wie dies die ÖVP-Opposition behauptet hat. Ich informierte
nachmittags Gen.Sekr. Mussil über das Ergebnis der EFTA-Minister-
sitzung und zufällig kam Klubobmann Koren vorbei. Er meinte, ent-
schuldigend, auch wir hätten ja ständig nach dem Minister gerufen,
wenn es um seine Tagesordnungspunkte ging und er nicht auf der Regierungs-
bank sass. Indirekt distanzierte er sich aber, indem er meinte, er per-
sönlich hätte ja kein Wort dazu gesagt. Der Angriff Lanners ist
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mir insofern fast unerklärlich, denn vor nicht allzu langer
Zeit meinte er, ihm tut es so leid, dass wir jetzt sachlich
keine Differenzen mehr auszutragen haben und er mich daher
sehr gerne einmal persönlich in meinem Ministerium besuchen
will. Ich habe mir vorgenommen, nach Vorliegen des stenographischen
Protokolls auf die Angriffe Briefe den Abgeordneten zu schreiben.
Der Bundespräsident gab einen Empfang für die Ministerpräsidenten
und Aussen- und Handelsminister sowie die entsprechenden Botschafter.
Alle sind von der Hofburg sehr beeindruckt. Ich kann gar nicht
verstehen, dass erst in der zweiten Republik und dies nach längerer
Diskussion die Entscheidung gefallen ist, die Amtsräume des Bundes-
präsidenten in die Hofburg zu verlegen.
NR Teschl hat mir dann im Parlament am Abend noch einmal nahegelegt,
mich positiv für das Sulfatzellstoffprojekt der Welser Papier-
fabrik auszusprechen. Ich erklärte ihm, dass ich weder eine
positive noch eine negative Meinung dazu habe, solange nicht fest-
steht, wie die Finanzierung erfolgt und vor allem wie dieses
Projekt Welser, also Landegger allein, oder gemeinsam ein Projekt mit
der Neusiedler – Turnauer – endgültig von den beiden Unternehmern
entschieden ist. Teschl meint, die Finanzierung könnte weder durch
den ERP-Fonds noch durch den Wasserwirtschaftsfonds geschweige
denn durch einen Zinsenzuschuss des Handelsministerium zustande
kommen. Teschl schwebt vor, es soll eine Bundeshaftung für dieses
Projekt ausgesprochen werden. Meiner Meinung nach ist dies eine
vollkommen unmögliche Lösung, denn ich kann mir nicht vorstellen,
dass der Finanzminister für ein privates Projekt einer Einzelfirma
eine Bundeshaftung übernimmt. Ich habe Teschl gebeten, er soll sich
mit Sekt.Chef Wanke ins Einvernehmen setzen, damit wir nach ent-
sprechender Vorbereitung eine Ad-hoc-Kommission dafür einberufen.
Teschl hat mit Bundeskanzler Kreisky über dieses Problem gesprochen
und dieser hat abgelehnt, auf die nächste Tagung der Industriekommission
ein Sulfatprojekt zu setzen, da er diese ausschliesslich mit dem Austro-
Porsche beschäftigen möchte.
ANMERKUNG FÜR PLESCH UND WANKE: Bitte die Einzelheiten mit Teschl
noch besprechen.
Die Opernaufführung Troubadour mit Karajan hat alle Teilnehmer
insbesondere die Ausländer sehr beeindruckt. Einige kamen nachher
zu mir und fragten, ob es wirklich wahr ist, dass die Staatstheater
ein höheres Defizit haben als das Budget des Aussenamtes.
Aussenminister Pahr dürfte hier ein bisschen auf die bekannte
Weise Propaganda für unsere Kulturleistungen gemacht haben.
Da Karajan die besten Sänger der Welt für seine Aufführungen
verpflichtet, ist – wie mir Jungbluth mitgeteilt hat – dieser
Abend um 400.000 S teurer gekommen als ein normaler, der auch
ca. die Hälfte nämlich nur 400.000 S kostet. Interessant ist aber,
dass das Einspielergebnis an diesem Abend 800.000 S, so dass eigentlich
nur das normale Defizit, eben fast soviel wie das Budget des
Handelsministeriums und mehr als das des Aussenministeriums aus-
macht. Nach der Opernaufführung gab es bei allen anderen Ministern
scheinbar üblich und daher auch vom Bundeskanzler so gepflogen,
ein Souper im Bristol, das – wie könnte es anders sein – bis 1/2 1 Uhr
dauerte. Für die Ausländer sicherlich ein gelungener Tag, für Kreisky,
da ja doch alle gekommen sind und sicherlich er sich dann mit seinen
Ideen wird durchsetzen, ein voller Erfolg.
Tagesprogramm, 12.5.1977
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)