Mittwoch, der 17. September 1975

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Mittwoch, 17. September 1975

Die sozialistische Fraktion des Kongresses wurde zusammengerufen,
um das Problem der Vizepräsidentschaft von Gassner zu besprechen.
Benya ist der Meinung, dass in diese Funktion nur ein gewählter
Spitzenfunktionär kommen könnte, der sich schon in einer Gewerk-
schaft und zwar in einem hohen Führungsgremium bewährt hat und be-
kannt ist. Dasselbe gilt natürlich auch für einen entsprechend
hohen Sekretär einer Gewerkschaft, er denkt hier scheinbar an
Zentralsekretäre. Die Fraktion hatte ursprünglich besprochen lange
vor dem Kongress, dass die ÖVP, d.h. die christlichen Gewerkschafter
auf alle Fälle einen Vizepräsidenten haben soll, obwohl statutenmässig
natürlich darüber überhaupt nichts ausgesagt wird. Scheinbar betrachten
die christlichen Gewerkschafter dieses Verhalten und vor allem die lange
Tradition seit 45 es als selbstverständlich, dass sie einen Vize-
präsidenten haben und dass er von ihnen ausschliesslich bestimmt und
vorgeschlagen wird. Die Meinung über diese Frage ist innerhalb der
sozialistischen Fraktion sehr geteilt. Natürlich hat Benya mit seinem
ungeheuren Gewicht vorerst überhaupt glaube ich den grössten Teil der
Delegierten auf seiner Seite. In der Diskussion hat sich aber nur
Busta ganz extrem deklariert und meinte, man könne den Sozialisten
nicht zumuten, dass sie für Gassner stimmen. Da er der vorletzte Red-
ner war und ich mich zuletzt gemeldet hatte, konnte ich sofort darauf
replizieren und sagen, niemand erwartet, dass wir für Gassner stimmen.
Die Delegierten kennen ihn nicht, er gilt natürlich als der Politruck
und extreme ÖAAB-Mann, ist ja auch von der eigenen Fraktion nur sehr
knapp gewählt worden. Trotzdem trat ich unbedingt für Verhandlungen
ein. Insbesonders die öffentlichen Bediensteten, die Postgewerkschaft
und teilweise die Gemeindebediensteten würden von einem Ablehnen und
einer Kampfabstimmung, sei es bei der Auswahl des Gassner aus dem
erwarteten Präsidiumssitz ihrer Gewerkschaft schwerwiegende Folgen
haben. Warum Benya dieses Problem jetzt mit solcher Härte anschneidet,
weiss ich nicht. Manche meinen es sein Freundschaftsdienst für Alten-
burger
und seine christliche Gewerkschaftsfraktion, die sich ja inner-
halb der ÖVP nicht durchsetzen konnte. Andere Gewerkschaften aber
wie insbesondere die Arbeitergewerkschaften, Bau z.B, fürchten dass
wenn Klingler kommt, dann zwei Angestellte, nämlich Dallinger und
Klingler im Präsidium vertreten sind und einen zu starken Überhang
haben. Das Ganze ist sehr unliebsam, wahrscheinlich wäre die ÖVP
besser beraten gewesen, hätte sie, wenn sie schon nicht auf Klingler


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und Gassner sich mehrheitlich einigen konnte, so am besten Gasper-
schitz
genommen. Doch dies ist glaube ich alles vorbei. Die einzige
Möglichkeit, die ich sehe, ist, dass eine Statutenänderung in Hinkunft
verhindert, dass ein nicht in Gewerkschaftskreisen bekannter und
schon bewährter Funktionär in Führungsgremien des Gewerkschaftsbundes
kommt und man diesmal für Gassner mit den Stimmen der christlichen
Gewerkschaft nur wählen lässt. Die sozialistische Fraktion sich
also der Stimme enthält. Ob allerdings dieses Kompromiss durchgeht,
bezweifle ich. Welche politische Konsequenz aber der andere Weg hat
und wie er sich insbesondere für die weitere Entwicklung des Gewerkschafts-
bundes auswirken wird, kann ich nicht sagen. Ich befürchte allerdings
das Schlimmste.

Beim Kongress hielt Häuser ein ausführliches Referat über die Sozial-
politik und was er beabsichtigt. Es gab dann auch eine Diskussion den
ganzen Vormittag. Nachmittag wurde die Diskussion über den Tätigkeits-
bericht fortgesetzt. Hier kommen natürlich alle Wünsche von den Dele-
gierten in der Debatte vorgetragen und sind sehr verschieden. Was mir
am meisten auffällt ist, dass leider sehr sehr viele ihren Debatten-
beitrag aufgesetzt haben und herunterlesen. Es kann vorkommen, dass wie
z.B. Tommy Lachs, der übrigens frei sprach, seinen Tätigkeitsbericht,
wenn ich so sagen darf, gab und dann eine volkswirtschaftliche wichtige
Frage wie die Vermögensbildung anschnitt und der nächste Debattenredner
seine Sorge als Betriebsrat über die Absaugung in seinem Betrieb im
Kongress berichtete. Trotzdem verläuft er nicht nur sehr diszipliniert,
sondern was mich am meisten beeindruckt, sind die bis jetzt gemeldeten
über 50 Debattenredner für die Tätigkeitsberichte.

Den Betriebsräten der Firma EPA, Sesselfabrik, wurde von ihrem Chef
mitgeteilt, dass der Betrieb anfangs des Jahres geschlossen wird.
Sie haben sich sofort an das Handelsministerium gewandt und sind dann
auch im Kongress aufgetaucht um mit dem Obmann Böck, Zentralsekretär
Millendorfer und mit Reim und mir und ihrem Landessekretär das Problem
zu besprechen. Wir einigten uns, dass sie sofort ein Schreiben auf Grund
des neuen Arbeitsverfassungsgesetzes abschicken müssen, damit die Kündi-
gung auf ein Monat verschoben wird. In der Zwischenzeit werde ich dann
wenn nötig, mit dem neuen Besitzer, dem Schwiegersohn, reden, der
angeblich von der Branche nichts versteht. Nicht ganz klar ist, ob er
den ganzen Betrieb wirklich schliessen will, oder sich nicht doch auf
eine Handelsfirma zurückziehen. Er beschwert sich jetzt über die grossen
Importe, gibt aber selbst zu, dass seine Aufträge jetzt mit 7 Millionen


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Schillinge steigend sind. Die harte Konkurrenz aus Deutschland und
insbesondere aus den Oststaaten zwingt ihn aber ungeheure hohe
Rabatte zu geben. Ausserdem meinte Millendorfer, dass auch der Vertrag
den der Betriebsrat besonders für die Beschäftigten abgeschlossen hat,
ihn sehr belastet.

ANMERKUNG für REIM: Bitte versuche über den Inhalt des Betriebsvertrages
ein wenig zu erfahren.

Beim Spatenstich der Firma Riedl auf den Trabrenngründen im 22. Bezirk
von der Wiener Betriebsansiedlungsgesellschaft, habe ich Sallinger
sofort aufmerksam gemacht, dass er gestern bei der Landeskammerange-
lobung in der Steiermark vergessen hat nicht nur über die Export-
steigerungen gegenüber den Oststaaten, sondern auch der Bundesrepublik
mit + 7 % hinzuweisen. Dies sagte ich ihm nicht weil mir dies wichtig
erschien, sondern um ihm zu zeigen, dass ich alle seine Ausführungen
genauest studiere, obwohl ich natürlich nur dies zufällig getan habe.
Er korrigierte sich wirklich bei dieser Rede wo allerdings ein ganz
kleiner Kreis dies hört. Stadtrat Mayr vor mir, hat dann gemeint, aus
der Sallinger-Rede geht hervor, dass doch eine grosse Differenz zwischen
ihnen beiden besteht. Die Stadtverwaltung ist nicht nur für die Unter-
nehmer da, sondern auch für die Konsumenten und für die Arbeiter, die
ebenfalls zur Wirtschaft zu zählen sind. Natürlich blieb mir dann gar
nichts anderes übrig um Sallinger meine Loyalität neuerdings zu bekunden
und Hans Mayr nimmt mir dies als alter Freund sicher nicht übel, bei
meiner Ansprache dann zu sagen, hier sei vielleicht der Präsident
missverstanden worden, denn auch er sei natürlich der Meinung, dass
unter Wirtschaft alles zu verstehen ist und die Sozial- und Wirtschafts-
partnerschaft dies ja am deutlichsten zeigt. Da es in dem Zelt eine
Affenhitze wie in der Sauna gehabt hat, haben wir uns alle sehr kurz
gefasst. Insbesondere ich als letzter Redner. Anstelle der Grundstein-
legung hat der Betrieb eine Lehmplatte hingelegt und jeder musste
seine Hand draufdrücken, dies wird dann im Bauwerk eingebaut. Der
Kronen-Zeitung-Redakteur Schliesser, der bei diesen Anlässen immer
dabei ist, sagte dann zu mir, jetzt sei mein Fingerabdruck polizei-
bekannt. Ich erwiderte sofort, dass dies gar nicht nötig sei, weil
dies bereits im Jahre 1936 der Fall war.

Die Passagendiskussion war ausgesprochen friedlich. Ich hatte vor Jahren
schon einmal in der Opernpassage diskutiert. Mein Stammplatz ist ja


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bekanntlicher Weise die Schnellbahnstation Landstrasse. Ich habe
den Eindruck, dass die ÖVP gar nicht irgendwelche besonders geschulte
Leute hinschickt, denn die Fragen die selbst aus ÖVP-Kreisen kamen,
ein junger Passant interessierte sich und diskutierte sehr lange mit
mir, waren wirklich leicht zu replizieren. Die Mehrheit der Bevölkerung
ist sogar bereit hier aktiv einzugreifen und man hat immer die Angst,
dass sie den Betreffenden mit Diskussionen und Fragen so eindecken,
dass der nur verschüchtert dann sehr bald das Weite sucht. Sehr gut
fand ich, dass anschliessend Löw als maskierter Werkelmann dort
eine Parade von sich gab, wodurch keine weiteren Diskussionen mehr
beim Abgang entstehen, sondern dies eigentlich in die neue Nummer
übergeht.

Beim Abschiedsempfang für Bukowski kamen zu meiner grössten Verwunderung
auch sehr viele Spitzenleute des Aussenamtes der ÖVP. Was mich aber
am meisten überraschte, war, dass selbst Sallinger und Mussil neben
Gleissner und einer ganzen Reihe von Kammerleuten erschienen. Mussil
beschwerte sich, dass bezüglich der Aufteilung von den Kommerzialräten
in OÖ der Freie Wirtschaftsverband so irrsinnige Forderungen stellt und
er dies darauf zurückführt, dass ich mich hier eingeschaltet habe.
Sallinger meinte er sei vollkommen untragbar, dass von den 13 7 SPÖ-ler
und 6 ÖVP-ler nur zum Zug kommen sollen. Hier glaube ich handelt es sich
um ein reines Missverständnis. Sallinger will dieses Problem beim
nächsten Jour fixe besprechen.

Bodo Beelitz meldete sich bei mir und meinte, er möchte eine Aus-
sprache einmal auf 3 Minuten. Selbstverständlich sagte ich sofort,
am besten ist es, er sagt mir gleich, was er wünscht. Er wollte sich
persönlich noch einmal in Erinnerung bringen, mir insbesondere seinen
Lebenslauf und seine Tätigkeit schriftlich übermitteln, damit ich
bei der Entscheidung über die Besetzung der Industriesektion auf ihn
zurückgreife. Ich liess ihm keinen Zweifel, dass er kaum Aussicht hat,
ich fragte ihn auch, warum er sich seinerzeit nicht beworben hat,
als wir ihn sehr wohl ins Handelsministerium übernehmen wollten.
Er meinte, damals hätte er keine Chancen gehabt, als 15-jähriger
Abteilungsleiter hier etwas anderes als auch wieder nur Abteilungs-
leiter zu werden, weshalb er seinen jetzigen Posten vorgezogen hat.



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Min.Rat Steiger, den ich über den Besuch von Snuderl informierte,
meinte, ein Wunsch der Jugoslawen einen Handelsvertrag endlich
mit der EG abzuschliessen, sei irreal, weil ein solcher in der
EFTA nicht vorgesehen sei. Auch eine Absichtserklärung, wie ich jetzt
eventuell kompromissmässig vorschlug, hätte keine wie immer geartete
Wirkung sei daher sinnlos. Steiger wird die Idee Snuderls an die
Mission in Genf weitergeben und Auftrag, zu ergründen, was die anderen
Botschaften dazu sagen.

Die Vorbesprechung mit Schipper, Marhold und seinem neuen B-Beamten
ergab, dass wir damit rechnen können, vom Finanzministerium die
notwendigen Aufstockung des Budgets von 15 Mill. für die ÖFVW
zu erhalten. Bezüglich der Kohle, Buntmetall, Bergbauförderung werden
wir uns wahrscheinlich wieder dahingehend einigen, dass wir im
BÜG dann die Überschreitungen unterbringen werden, die jetzt bereits
feststehen. Die Forderung für die Stärkefabrik in Gmünd will Androsch
im Agrarpaket verhandeln, was mir nur sehr recht ist. Auch in der
Frage der Bindung wird es keinerlei Schwierigkeiten geben. Schipper
berichtete mir dann anschliessend, dass auch beim Bautenminister es
möglich war, fast alles befriedigend zu lösen. Der Sekretär von Moser
aber, Kazda, war scheinbar nicht dieser Meinung, als ich ihn abends beim
Empfang dann danach fragte. Die Situation bei den Budgetbesprechungen,
wie ich sie seit 5 Jahren erlebt habe, ist sehr typisch. Die Bürokratie
regelt sich weitestgehend, was sie dringend braucht und ganz besonders
Marhold versteht es, sich hier als zentrale Figur zu etablieren. Er
Macht mit dem Finanzministerium ziemlich alles bis ins Detail aus,
weiss daher sehr genau, wie weit das Finanzministerium gehen kann
und wenn man daher so wie ich dem Finanzminister keine Schwierig-
keiten machen will, so kann man mit diesen Budgetvereinbarungen einiger-
massen durchkommen. Wenn man natürlich ein ehrgeiziger Minister ist,
und glaubt, man muss unbedingt zusätzliche Beträge bekommen, dass
glaube ich, gibt es nur Spannungen, erreichen tut man kaum etwas und
das Budget verträgt es ja wirklich nicht.

27_1006_03

Tagesprogramm, 17.9.1975

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hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)




Einträge mit Erwähnung:
    Tätigkeit: ÖGB-Präs., NR-Präs.
    GND ID: 119083906


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      Tätigkeit: ÖAAB-Funktionär, ÖGB-Vizepräsident, BR-Abg.


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          Tätigkeit: Wr. SPÖ-GR-Abg., Vors. BFI


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            Tätigkeit: ÖVP-NR-Abg.


            Einträge mit Erwähnung:
              Tätigkeit: Finanzminister
              GND ID: 118503049


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                Tätigkeit: ZS GPA, ab 1980 Sozialminister


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                  Tätigkeit: ÖGB-Vizepräs., FCG


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                    Tätigkeit: MR HM


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                        Tätigkeit: Beamter HM


                        Einträge mit Erwähnung:
                          Tätigkeit: Wr. Wirtschafts- u. Finanzstadtrat


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                            Tätigkeit: ÖGB


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                              Tätigkeit: Gen.Sekr. HK, ÖVP-NR-Abg., später AR-Präs. Verbund


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                                Tätigkeit: Außenhandel BWK


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                                  Tätigkeit: Bautenminister


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                                      Tätigkeit: Wr. Bau-SR, ÖGB-Vizepräs., Obmann Gew. Bau-Holz


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                                        Tätigkeit: Vizekanzler, Sozialminister


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                                          Tätigkeit: MR HM
                                          GND ID: 1035518031


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                                            Tätigkeit: HM


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                                              Tätigkeit: Straßburg


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                                                Tätigkeit: Handelskammer-Präsident


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