Montag, 5. Mai 1975
Beim Bundesparteivorstand, Parteirat und Parteitag geht es aus-
schliesslich darum, die Kandidaten zu bestimmen und die Wahlplatt-
form zu verabschieden. Kreisky erörtert, dass die ÖVP in ihren
Wahlprogrammen entsprechende Versprechungen machen muss, während
er glaubt, dass unsere Wahlplattform keinerlei Versprechungen
beinhalten soll, er geht von dem Bonus aus, den eine regierende
Partei hat und nimmt an, dass dies genügt, um die Stimmen zu be-
kommen. Kreisky kann hier wieder einmal mehr beweisen, sein poli-
tisches Gspür und den Trend, der in der Bevölkerung herrscht. Wenn
er nämlich recht hat und fast glaube ich, dass dies der Fall ist,
dann nützen in der jetzigen Phase keinerlei Versprechungen, um
die Bevölkerung von der Güte eines Wahlprogrammes zu überzeugen.
Die Oppositionspartei kann sich aber kaum mit einer solchen Tak-
tik einverstanden erklären. Sie muss der Bevölkerung sagen, was sie
besser machen will. Da die ÖVP in die Schwierigkeit kommt, den
drei Bünden in diesem Fall Rechnung tragen zu müssen, kann es nur
zu einem Lizitieren kommen. Wenn sie selektiert, dann kann es ihr
genauso ergehen, wie bei den "jungen Löwen", die Schleinzer unter-
stützen werden. Hier hat sie ganz auf die Frauen vergessen und
damit grossen Unbill ausgelöst, ausserdem hat sie nicht entsprechend
alle berücksichtigt, die sich berufen fühlen und sicherlich dadurch
auch eine entsprechende Verärgerung bei diesen Mitarbeitern erreicht.
Da auch die ÖVP in den letzten Jahren immer wieder versucht hat,
Kreisky zu beschuldigen, dass er viel verspricht und wenig hält,
dass er ein "Plauderer" ist und nicht ein seriöser, wird es ihr
jetzt umso schwieriger sein, diese neue Taktik von Kreisky zu
attackieren. Kreisky dürfte ausserdem aber eingesehen haben, dass
wir in der jetzigen finanziellen Situation des Bundes nicht grosse
Versprechungen machen können. Ausserdem ist er sicherlich geheilt
von den letztmaligen, wo er nicht zuletzt, weil eben die Bauarbeiter-
gewerkschaft ihn in dieser Idee bestärkt hat, 5.000 Wohnungen pro
Jahr mehr versprochen hat. Jede quantifizierte Versprechung ist
in Wirklichkeit tödlich. Erreicht man sie, betrachten es die Wähler
als selbstverständlich, erreicht man sie aber nicht, kann man dann
umständlich erklären, warum dies nicht möglich war und niemand
nimmt einem dies ab. Schon allein diese Überlegungen zeigen, dass
ich die neue Taktik Kreiskys sehr wohl als richtig empfinde, weil
ich jetzt Endes bereits vor unserem Regierungsantritt dieselbe
Meinung immer vertreten habe. Wären diese fünf Jahre nicht in
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eine gute Konjunktur gefallen, wäre es mit unseren ganzen Pro-
grammen und vor allem mit den ganzen Versprechungen sehr schlecht
gegangen. Kreisky in seinem Referat am Parteitag kam nämlich deutlich
zum Ausdruck, dass er nicht an einen Konjunkturumschwung sehr bald
glaubt, sondern ganz im Gegenteil malte er wieder einmal sehr
pessimistisch.
Die für mich beeindruckendste Passage war aber, als er meinte, dass
Demokratie Widerstreit der Meinungen sei und die Abstimmung in der
Demokratie erst der letzte Akt sei. Damit hat er sicherlich recht,
vergisst allerdings nur eines, dass eine überragende Persönlich-
keit – und dies ist er – gar keinen Widerstreit der Meinungen will.
Wahrscheinlich in den meisten Fällen gar nicht duldet. Er hat nur
ein politisch gutes Gspür, fühlt also, was ungefähr kommen kann
rechnet sich aus mit seinem Intellekt, wie er am besten diese
Schwierigkeit ausnützen kann und legt seine Meinung dann entspre-
chend in verschiedenen Gremien immer wieder vor. Er profiliert
sich also, indem er seine Idee zuerst wahrscheinlich im Partei-
präsidium, dann in der Regierungsvorbesprechung, dann im Partei-
vorstand, dann wahrscheinlich in einem halben Dutzend anderen
Gelegenheiten, um immer mehr den Gegebenheiten anpassend seine Idee
und seine Überlegung zu profilieren. Wenn ihm wirklich wer entgegen-
tritt – und ich habe dies einige Male bei mich berührenden Ange-
legenheiten getan – dann ist er keinesfalls darüber glücklich, son-
dern maximal bereit, ein wenig zuzuhören und dann sofort zu sagen,
das müsste man in Separatbesprechungen noch klären. Diese Art der
Meinungsbildung von Kreisky kostet ihn natürlich viel Zeit und viel
Aufwand. Er hat dadurch das Gefühl, tatsächlich einen Widerstreit
wie es sein Demokratiebegriff ist, zu erleben. In Wirklichkeit
gibt es keinen profilierten Mann in der Partei oder in der Regierung
oder sonst irgendwo, der ihn auch nur annähernd in jeder Beziehung
Paroli bieten könnte und würde. Mit seiner Methode fädelt er, wie
man bei uns in Wien sagt, alle ein. Dies ist an und für sich gar
nicht schlecht, sondern in Wirklichkeit der Grund, warum er heute
so unumstritten in jeder Beziehung, sei es in der Partei oder in
der Regierung, wahrscheinlich sogar in der Öffentlichkeit agieren
kann. Mein Demokratiebegriff ist dagegen nicht unbedingt Wider-
streit zu suchen, sondern in Wirklichkeit versuchen, die verschieden-
sten Meinungen durch einen Konsens zu einer Einigung zu führen.
Dies bedeutet, dass man aber in Wirklichkeit meistens Kompromisse
schliesst, manche sagen faule Kompromisse, dies bedeutet, dass man
furchtbar zeitaufwendig mit den Gegnern oder mit der anderen Meinung
sich auseinandersetzen muss und dies bedeutet wahrscheinlich
auch, dass man auf lange Sicht gesehen, sich keinesfalls so profi-
lieren kann wie dies eben Kreisky kraft seines Intellekt aber
auch kraft seines ungeheuren Fleisses derzeit macht.
In der Diskussion war nur interessant, dass Hindels seine Kritik
gegen die Erstellung der Plattform richtete.Dies sei in Gremien jetzt
besprochen und beschlossen werden, ohne dass die grosse Partei mit
ihren vielen Organisationen bis zu ihren Sektionen hinab dies disku-
tieren konnte- Er meinte, es wäre demokratischer gewesen und unserer
Partei äquivalenter, wenn eben zuerst ein Entwurf bis in die letzten
Sektionen und den Vertrauenspersonen hinab diskutiert worden wäre, da
mit eben die Meinung der Partei sich hätte bilden können. Kreisky
erwiderte dann sofort mit Recht, dass dies nicht einmal in der ersten
Republik der Fall war und dass Wahlplattformen oder Wahlprogramme
immer von oben, von den Gremien entsprechend beschlossen wurden.
Wie wenig selbst der Parteitag diskutieren will, zeigte sich beim
zweiten Tagesordnungspunkt über die Reform der Partei. Hier hätten
sollen die sieben Arbeitsgruppen entsprechende Berichte erstatten.
Nach dem ersten Bericht von Marsch wurde es aber schon so unruhig,
dass Kreisky sofort erfasste und vorschlug, man sollte jetzt die
entsprechenden Vorschläge in den Organisationen diskutieren und dann
beim nächsten ordentlichen Parteitag die notwendigen Beschlüsse fas-
sen. In Wirklichkeit kann ich auf Grund meiner jahrzehntelangen Er-
fahrung bei Parteitagen immer wieder nur feststellen, dass ein Irr-
tum ist zu glauben, dass nur ein Bruchteil der Delegierten garne
diskutiert oder vielleicht gar viel Zeit aufwenden möchte, um ein
Problem bis ins letzte Detail erörtert zu bekommen. Was die Dele-
gierten wollen, ist ein einträchtiges Ergebnis, ohne viel diskutieren
mit entsprechender Beschlussfassung und genaue Direktiven, wie vorge-
gangen werden soll. Dies ist nämlich in Wirklichkeit das Zeichen einer
Stärke einer Partei. Wenn es nämlich am Parteitag zu Diskussionen ge-
kommen ist und dies war meistens nur wegen Personaländerungen der
Fall, dann sind auch die ja nicht offen ausgetragen werden, sondern
meistens in Couloir-Gesprächen und sicherlich mit schlechtem Ergebnis
für den weiteren Verlauf der Parteiarbeit. Ich glaube, dass er mit
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der Partei in der ersten Republik wesentlich besser gegangen wäre,
wenn Victor Adler nicht so krank gewesen wäre, dass er die Partei-
führung nur kurze Zeit und wahrscheinlich in der letzten Phase gar
nicht mehr so beeinflussen konnte, wie es notwendig gewesen wäre. Da-
durch ist es zu der Entwicklung dieser beiden Flügel Renner, der rechte,
und Bauer, der linke, gekommen, mit zwar einem intellektuell inter-
essanten Streit, aber in Wirklichkeit keiner entsprechenden einheit-
lichen Schlagkraft oder Führung der Partei. Dieselbe Entwicklung bei
der ÖVP nach dem zweiten Weltkrieg. Als Raab, die überragende Per-
sönlichkeit, sich durchsetzte, wurde die ÖVP zeitweise stark und, wenn
man so will, auch autoritär geführt. Als er weg war und kein ent-
sprechender Nachfolger präsentiert werden konnte, begann das Unglück
der ÖVP, das bis jetzt noch anhält.
Beim Journalistenfrühstück, wo Reischitz über das ÖPZ informierte,
fragte er mich dann, ob er den Kontakt über Konsumentenpolitik mit
dem englischen Prof. Weiss vom Polytechnikum London aufnehmen sollte,
bevor er mit uns die entsprechenden Details besprochen hat. Er ist
fest entschlossen, dieses konsumentenpolitische Feld jetzt mit den
Engländern gemeinsam in Angriff zu nehmen. Er hat nur leider nicht
gesagt, um was es sich im Detail handelt, nur erklärt, er wird ein dies
bezügliches Schreiben an mich richten.
ANMERKUNG FÜR KOPPE UND WAIS: Bitte vormerken.
Das Journalistenfrühstück beginnt ganz deutlich sichtbar abzuflauen.
Abgesehen davon vom Besuch. Es kommt jetzt nicht einmal der Rund-
funk, geschweige denn das Fernsehen, fürchte ich, beginnt es bereits
jetzt schön langsam zu erstarren. Eine Zeitlang werden wir es noch
so weiterführen können, dann aber fürchte ich, geht es in der eigenen
Routine unter.
ANMERKUNG AN ALLE, insbesondere KOPPE: Wir müssen uns über ein neues
System und neue Ideen ernstlich unterhalten.
Bei der Galerie Scheer, Lithographien von Lotte Profohs, traf ich Antel
und wir diskutierten die Situation bezüglich eines Filmförderungsge-
setzes. Anteil bestätigte mir, dass er mit Jungbluth einen Filmför-
derungsgesetzentwurf bearbeitet hat, der aber nach seiner Meinung voll-
kommen unbrauchbar ist. Er begrüsst deshalb, dass wir jetzt im Han-
delsministerium diese Materie wieder aufnehmen. Ich erzählte ihm,
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dass Sinowatz jetzt mit einem Schreiben das Handelsministerium er-
sucht hat. dass wir unsere Verhandlungen fortsetzen, um ein Film-
förderungsgesetz vorzubereiten. Antel bestätigt mir, dass unser seiner-
zeitiger Entwurf noch immer der optimal beste gewesen ist. Ich ersuche
ihn, sich mit Puffler, der die Filme in Hinkunft bearbeiten wird,
zusammenzusetzen.
ANMERKUNG FÜR HEINDL: Ich glaube, wir sollten einen überarbeiteten Ent-
wurf noch einmal durchbesprechen, bevor ihn in die Begutachtung schicken.
Die ÖMV hat Sterk informiert, dass das Energiesicherungsgesetz be-
züglich der Pflichtlagerhaltung für die österreichische Wirtschaft eine
grössere Belastung darstellt als dies die internationale Energie-
agentur verlangen würde. Insgesamt macht dies fast 7 Mia. S aus. Statt
einem 1,5-Mill.-t-Pflichtlager würden wir 3,8 Mill. t haben
Der Fehler ist dadurch passiert, dass Frank, ohne mit Sterk oder jemand
anderem zu sprechen, auf Intervention der internationalen Ölgesell-
schaften von der Importmenge abgegangen ist und für die saisonalen
und Manipulationlager je 15 % nominell mit der Verarbeitungsanlage
ausgegangen ist. Abgesehen davon, dass je 15 % in meinen Augen be-
deutet, dass sowohl für das Manipulations- als auch für.das saisonale
Lager eben je 15 % genommen werden müssten und dadurch 30 % herausge-
lesen werden können, was noch einmal eine Verdoppelung ergibt, ist es
auch sinnlos von einer Jahresdurchsatzkapazität auszugehen. Systemwidrig
ausserdem, denn wir sind immer wieder von den Importen ausgegangen,
wie dies auch der Vertrag vorsieht. Ich habe zuerst die Absicht gehabt,
eigentlich gar nichts mehr an dem Gesetzentwurf zu ändern und erst im
Parlament, wenn die ÖVP entsprechende Vorschläge macht, diesen Fehler
zu korrigieren. Ich hatte letzten Endes auch die Absicht, dies deshalb
zu tun, weil die ÖVP und insbesondere Mussil mir immer wieder vor-
werfen, dass dieser Gesetzentwurf ein Romig-Entwurf wäre, d.h. die ÖMV
dabei Pate gestanden ist. Formell kann ich mich dagegen sehr gut wehren,
weil die ÖMV tatsächlich einen eigenen Entwurf vorgelegt hat, der nur
zum geringsten Teil überhaupt in unserem Handelsministeriumsentwurf ein-
gegangen ist. Materiell aber muss ich zugeben, dass Romig jetzt gerade
mit seiner Korrektur vollkommen recht hat. Wenn wir diesen überhasteten
Entschluss von Frank, der mit niemandem darüber gesprochen hat, im
Gesetz wirklich stehen liessen, wäre dies eine Katastrophe für die ÖMV.
Sie könnte und würde sofort jedwede Kapazitätsausbau verhindern, da letz-
ten Endes sie dafür nur Lagerhalten müsste, ohne dass sie jemals diese
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auch tatsächlich brauchen würde. Ich habe mich deshalb nach reif-
licher Überlegung entschlossen, dem Wunsch von Sterk Rechnung zu
tragen und durch gewöhnliches Streichen von einigen falschen Zitaten
resp. übernommenen Begriffen aus vorhergehenden Entwürfen eine Rechts-
situation herzustellen, dass wieder nur die Importe und zwar 15 %
von den vorjährigen Importen die Grundlage der Manipulation und
der Saisonallager sein sollen. Ich habe dazu auch den Sekt.Chef
Frank gebeten, damit er nicht das Gefühl hat, er wurde bei diesen
letzten Besprechungen ausgeschaltet. Frank hat allerdings zugeben
müssen, dass ihm hier ein Lapsus passiert ist. Nicht auszudenken,
wenn Androsch bei der letzten Ministerratssitzung, wo ich nicht
anwesend war, nicht ersucht hätte, dass dieses Gesetz auf acht Tage
zurückgestellt werden soll. In diesem Fall nämlich wäre es bereits
im Parlament und wir wären die blamierten Europäer.
Tagesprogramm, 5.5.1075
hs. Notizen (Tagesprogramm Rückseite)
TB Wais betr. SPÖ-Parteitag, o.D.
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