Samstag, der 11. September 1971

07-1025

Samstag, 11. September 1971

Die Zentrale hat mir für 9.00 Uhr in Rannersdorf die erste Ver-
sammlung vorgeschrieben. Durch einen reinen Zufall fuhren wir
über die Simmeringer Hauptstraße nach dem wir einen anderen
Weg, der näher ist, verfehlt haben. Ich wunderte mich, daß dort
eine Kolonne stand und fuhr glatt durch. Wie ich an die Spitze
der Kolonne gekommen war, blieb ich doch stehen, um die Genossen
wenigstens zu begrüßen, da ich angenommen hatte, sie warten zwar
auf jemanden anderen, aber da sie mir so zuwinkten, wollte ich
nicht ganz spurlos vorüberfahren. Zu meiner größten Verwunderung
stellte sich dann heraus, daß diese Kolonne auf mich gewartet
hatte. Niemand hat konkret in meinem Plan und auch Weihs nicht
verständigt, daß wir dort auch tatsächlich eintreffen sollten
und nicht in Rannersdorf. Hätte man mich überhaupt gefragt, dann
werde ich wahrscheinlich der Meinung gewesen, ob es sehr sinn-
voll ist, wenn man eine ganze Autokolonne von vielleicht 20
Autos in einem Bezirk fährt und verschiedene Punkte ganz kurze
Referate von 20 Minuten Dauer hält. Ich glaube, daß diese Wahl-
kampfführung eigentlich vorbei sein sollte, zumindestens haben
wir 1966 auf der Landstraße dies aufgegeben. Seit der Zeit de-
monstrieren wir im 3. Bezirk nicht mehr unsere Stärke sondern
auch durch kontinuierliche Diskussionen mit den verschiedensten
opinion leaders Versuche an neutrale Leute heranzukommen. Genauso
dienen dazu die AEZ-Passegendiskussionen. Ich glaube, daß es
sinnvoller und zielführender ist, ein Mikrophon ganz bescheiden
aufzustellen. natürlich auf einem verkehrsreichen Platz, dann
von seinen eigenen Genossen ein oder zwei Fragen stellen zu lassen
und dann kann man mit Sicherheit annehmen, daß die Passanten irgend-
welche Fragen stellen und aus dieser Diskussion glaube ich hat
sich viel mehr Eindruck und positive Wirkung auf Neutrale als wie
eine solche Machtdemonstration. Selbstverständlich aber bleibt
es ja jedem Bezirk überlassen, wie er seinen Wahlkampftaktik
führt und ich selbst füge mich da jeder Anordnung.



07-1026

Nachmittags hatte ich im südlichen Niederösterreich vier
Versammlungen in den diversen Volksheimen und Stadtsälen.
Bei dieser Gelegenheit mußte man allerdings wieder feststellen,
daß hier nur Genossinnen und Genossen kommen, die sowieso
garantiert sozialistisch wählen. Natürlich ist es von größter
Bedeutung in diesen kleineren Orten unseren Funktionären das
Gefühl zu geben, daß auch ein Minister nicht nur bereit ist
sondern zu ihnen kommt, zu ihnen spricht, sie aufmuntert und
mit ein paar gecks ihnen sogar eine angenehme 3/4 oder
Stunde verschafft. Fraglich ist natürlich nur, ob man nicht
doch mit irgendwelchen Überlegungen neutrale Leute an einem
Ort zusammenbringen könnte, wo man umso gewissenhafter mit
ihnen Probleme und Anfragen tatsächlich diskutieren kann.

Tätigkeit: Landwirtschaftsminister bis 1976
GND ID: 130620351


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