Freitag, den 31. Juli 1970
Bei der Ordensverleihung für eine langjährige – 40 Jahre – Mitar-
beiterin im Ministerium, Frau LENICEK, die in Pension geht, hatte
ich Gelegenheit, Herrn Min Rat Böhm, den Personalreferenten, wegen
des Rechnungshofberichtes zu fragen, was er veranlasst hat. Ich
wusste, dass Böhm, ohne mit mir zu reden, als erste Entscheidung fest-
gelegt hat, dass Sekt.Rat Würzl keinen einzigen Akt mehr selbst fer-
tigen darf, sondern der Sektionsleiter oder dessen Stellvertreter den
Akt approbieren muss. Böhm war sehr pikiert zu erfahren, ob ich diese
Massnahmen decken würde. Ich selbst sagte, das sei Angelegenheit des
Präsidiums und Schipper würde ja, da er heute vom Urlaub zurückkommt
unverzüglich eine entsprechende Veranlassung treffen. Sicher ist für
mich eines, dass Unzulänglichkeiten wahrscheinlich vorliegen, dass
aber andererseits der Rechnungshof mit einem riesigen Einschaubericht
hier wesentlich mehr Zeit aufwendet, als zweckmäßig ist, denn
genau dieselbe Erwiderung oder eine noch viel längere Erwiederung jetzt von Seiten
des Ministeriums wird ausge-
arbeitet werden. Das System, das derzeit in Österreich herrscht, das
sowieso jedwede Aktivität, soweit sie finanzieller Natur ist und die
ist ja die grösste in einem Staat, mit dem Finanzministerium gesprochen
und genehmigt werden muss, dass jetzt noch eine Kontrollbehörde nach
Jahren diese Angelegenheiten überprüft und bis in die letzten Details
hinein verfolgt, muss dazu führen, dass wahrscheinlich 3/4 der Arbeit
von der Behörde gegenseitig kontrolliert, überprüft und letzten
Endes genehmigt oder kritisiert und verworfen wird.
Kreisky hatte am Vortag Seiffert von der Unilever hart genommen,
indem er ihm vorwirft, dass er politische Geschäfte mit der ÖVP
in der Vergangenheit gemacht hat und jetzt die Regierung durch Mass-
nahmen in die grössten Schwierigkeiten bringt und dass er sich dies
nicht gefallen liesse. Er selbst hatte ja mir gegenüber gesagt, er wür-
de einen Kampf gegen die Margarineindudstrie – Unilever – führen, wie
seinerzeit Kennedy es mit der Stahlindustrie gemacht hat . Deshalb
war der erste Auftritt, den Seiffert und Seefranz, die zu einer Be-
sprechung mit Kreisky, Androsch und mir gekommen waren, sehr inter-
essant. Seiffert versuchte gleich einleitend zu erklären, dass er
keiner politischen Partei Unterstützung gewähren will, er selbst sei
sogar, da er 1938 in den Untergrund nach Holland gegangen sei und
dort seine Frau kennengelernt hatte, derzeit nicht einmal öster-
02-0436
reichischer Staatsbürger, er hätte damals die niederländische Staats-
bürgerschaft angenommen. Nach kurzem Herumreden erklärten sie sich aber
unverzüglich bereit, doch zuzuwarten, ob die Regierung eine diesbe-
zügliche Regierungsvorlage im Parlament , die die Umsatzsteuer von 5,5
auf 1,7 % senken würde, durchbringt. Wenn dies nicht der Fall ist,
erbaten sie sich, dass die derzeitige Preiserhöhung von 7,6 auf antrags-
mässige Höhe von 9,2 festgesetzt werden sollte. Kreisky, der froh war, in
dieser Frage über die Runden zu kommen, denn gestern sagte er mir in der
Eile, die Regierung müsste natürlich auch eine positiven Erfolg in
dieser Auseinandersetzung zeigen, war sehr erfreut über diese Entwicklung
und stimmte den 9,2 sofort zu. Ich selbst machte nur einen Einwand, dass
dies nicht Angelegenheit der Regierung, sondern der Paritätischen Kommis-
sion sein würde und deshalb von Seiten der Regierung oder Kreiskys nur ein
Verwendungszusage gemacht werden könnte. Ich selbst erklärte allerdings,
dass ich mir nicht vorstellen könnte, dass wenn jetzt ein noch höherer
Preis die Konsumenten belasten würde, dann im Parlament keine Einigung
über die Herabsetzung der Umsatzsteuer erzielt werden konnte.
Die angekündigte Bauerndemonstration ist – wie wir ja erwartet haben -
auf die Abgabe von Milch an drei Plätzen in Wien beschränkt geblieben
ich Selbst hatte mir bei der Oper die Verteilung angeschaut und fest-
stellen müssen, dass obwohl noch Milch in grösserer Menge vorhanden
war, niemand sich tatsächlich um diese Milch gerissen hat, sodass
eigentlich gegenüber den Erfahrungen im AEZ und beim Südbahnhof man
von der Oper aus keinen spektakulären Erfolg melden konnte. Beim AEZ
sollen einige Gruppen sogar organisiert hingegangen sein, um sich Milch
abzuholen, eine solche Vorgangsweise halte ich für äusserst unzweck-
mässig, weil sie dadurch einer Aktion einen gewissen Auftrieb gibt.
Die Verhandlungen mit den ÖVP-Vertretern – es waren nämlich nicht
nur die Bauern, meistens Landeshauptleute oder Stellvertreter oder
sonstige Landesräte von den Bundesländern gekommen, sondern es waren
auch Vertreter des ÖAAB und des Wirtschaftsbundes anwesend. Die ÖVP
wollte scheinbar demonstrieren, dass sie geschlossen hinter dieser
Frage steht. Das Streitgespräch, das sich stundenlang dahinzog und
natürlich auch teilweise harte Angriffe brachte, konnte wie wir hoffen
auch für die Öffentlichkeit verständlich abgewehrt werden. Der Hinweis,
dass wir für die Margarineindustrie Dutzende Millionen S für deren Ge-
winnsicherung aufrechterhalten wollten, der Angriff kam vom ÖAAB-ler
Dr. Drennig und konnte deshalb leicht entkräftet werden, weil wir
bei den Gewinnen der Margarineindustrie auch Interesse haben, dafür aber
umso mehr angeblich die zweite Margarinefabrik, nämlich Ebhardt & Herout
02-0437
die zur Hälfte der Landwirtschaft gehört, derzeit schon in roten
Ziffern ist und bis Jahresende weitere 1,2 Mio S Verlust erwartet.
Die Forderung von Landeshauptmann Maurer, dieses Geld für 1970 den
Milchbauern zur Verfügung zu stellen – die Aktion wird jetzt sicher
90 Mio S kosten – war deshalb leicht zu entkräften, weil bekanntli-
cherweise erst 1971 die Ausfälle der Umsatzsteuer zu verzeichnen sein
werden. Ebenso konnte eigentlich von den Bauernvertretern keine schlüs-
sige Begründung gegeben werden, warum die vor zwei Jahren von Schleinzer
durchgeführte Erhöhung des Krisengroschen auf 19 damals richtig gewesen
ist, während sie jetzt unter Weihs so schlecht und verabscheuungswürdig
sei.